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Sinkt der Stoffwechsel tatsächlich im Alter?

Sinkt der Stoffwechsel tatsächlich im Alter?

Nadia Beyer Sep 13, 2024 1 1347

Es gibt tatsächlich einige Faktoren, die Einfluss nehmen auf die Höhe unseres Stoffwechsels. Ein paar sehr interessante Einflussgrößen hatte ich vor kurzem in meinem Ebook Warum Diäten und Pestizide dick machen“ vorgestellt.

Wenn es jedoch um das Thema Abnehmen geht, denken die wenigsten darüber nach, welchen Einfluss Pestizide dabei haben könnten. Die meisten Menschen gehen vielmehr davon aus, dass sie mit zunehmendem Alter deshalb an Gewicht zulegen, weil ihr Stoffwechsel mit dem Alter zurückgeht. Auch unter Wissenschaftler ging man lange Zeit davon aus, dass der Stoffwechsel ab unserem 20. Lebensjahr pro Dekade um ca. 1-2 % abnimmt und dieser Rückgang ab unseren 40ern sogar noch weiter ansteigt, d.h. der Stoffwechsel nun pro Lebensjahrzehnt um 2-3 % zurückgeht.

 

Neue Studie – neue Erkenntnisse

Ein internationales Team von Wissenschaftlern1 (Pontzer et al.) kam vor geraumer Zeit nun jedoch zu neuen Erkenntnissen, die bisherige Annahmen überraschenderweise nicht bestätigen. Sie analysierten den durchschnittlichen Kalorienverbrauch von mehr als 6.400 Menschen (64 % Frauen) im Alter von 8 Tagen bis 95 Jahren, die in 29 Ländern weltweit ihrem täglichen Leben nachgingen.

Sie werteten Daten von Personen aus, die an Tests mit „doppelt markiertem Wasser“ (doubly labeled water) teilgenommen hatten. Bei dieser Methode trinken die Personen Wasser, in dem ein Teil des Wasserstoffs und des Sauerstoffs durch Isotope dieser Elemente ersetzt wurde, die sich in Urinproben nachweisen lassen. Im Anschluss wird berechnet, wie viel Wasserstoff und wie viel Sauerstoff die Person pro Tag verliert und anhand dessen lässt sich wiederum ermitteln, wie viel Kohlendioxid der Körper jeden Tag produziert. Kohlendioxid ist ein sehr präzises Maß dafür, wie viele Kalorien man täglich verbrennt, denn man kann keine Kalorien verbrennen, ohne gleichzeitig Kohlendioxid zu produzieren.

 

Säuglinge und Kinder – die Stoffwechselweltmeister!

Die Daten zeigen nun, dass Säuglinge die höchsten Stoffwechselraten von allen haben. Der Energiebedarf steigt in den ersten 12 Lebensmonaten sprunghaft an, so dass ein Einjähriger bis zu seinem ersten Geburtstag bezogen auf seine Körpergröße 50 % mehr Kalorien verbrennt als ein Erwachsener. (Anmerkung: Neugeborene im ersten Lebensmonat hatten interessanterweise einen ähnlichen größenbereinigten Energieaufwand wie Erwachsene). Dass Säuglinge einen so hohen Energieverbrauch haben, liegt nicht allein daran, dass sie in ihrem ersten Jahr damit beschäftigt sind, ihr Geburtsgewicht zu verdreifachen. Natürlich wachsen sie, aber selbst, wenn man das berücksichtigt, schießt ihr Energieverbrauch höher in die Höhe, als man es bei ihrer Körpergröße und Körperzusammensetzung erwarten würde. Irgendetwas passiert in den Zellen eines Babys, dass sie aktiver macht, und noch ist unklar, welche Prozesse das genau sind.

Nach diesem anfänglichen Anstieg im Säuglingsalter verlangsamt sich der Stoffwechsel diesen Daten zufolge dann jedes Jahr um etwa 3 %, bis wir unsere 20er Jahre erreichen, wo er sich auf ein neues Normalmaß einpendelt. Obwohl die Teenagerjahre eine Zeit der Wachstumsschübe sind, konnten die Forscher also keinen Anstieg des täglichen Kalorienbedarfs in der Pubertät feststellen, nachdem sie die Körpergröße und Muskelmasse berücksichtigt hatten. Obwohl der Gesamt- und Grundumsatz sowie die fettfreie Masse (Muskelmasse, inneren Organe) während der gesamten Kindheit und Jugend mit dem Alter weiter zunahmen, gingen die größenbereinigten Verbrauche in diesem Zeitraum stetig zurück. Das Geschlecht hatte dabei interessanterweise keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit des Rückgangs. Bemerkenswert ist auch, dass es während der Pubertät im Alter von 10 bis 15 Jahren keinen Anstieg des bereinigten Gesamtenergieverbrauchs oder des Basalenergieverbrauchs (Grundumsatzes) gab.

 

Überraschende Stoffwechselstabilität in der Lebensmitte

Die Lebensmitte war eine weitere Überraschung, dachte man doch bisher, dass spätestens nach dem 30. Lebensjahr der Stoffwechsel sinkt und es mit dem Gewicht tendenziell nach oben geht. Doch obwohl es mehrere Faktoren gibt, die die dicker werdenden Hüften erklären könnten (Stress, Hormone, lange Arbeitstage, verbunden mit weniger Bewegung, Verzehr hoch verarbeiteter energiedichter Lebensmittel etc.) deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein veränderter Stoffwechsel nicht dazu gehört.

Die Forscher fanden nämlich heraus, dass der Energieverbrauch in diesen mittleren Jahrzehnten – den 20er, 30er, 40er und 50er Jahren – am stabilsten ist (auch in den Wechseljahren). Der Gesamtenergieverbrauch und der Grundumsatz sowie die Organmasse waren im Alter von 20 bis 60 Jahren unabhängig vom Geschlecht stabil. Sogar während der Schwangerschaft war der Kalorienbedarf einer Frau nicht höher oder niedriger als erwartet, wenn man die Massezunahme durch das Baby berücksichtigt.

Fig. 2. Fat-free mass– and fat mass–adjusted expenditures over the life course. Individual subjects and age-sex cohort mean ± SD are shown. For both (A) total expenditure (adjusted TEE) and (B) basal expenditure (adjusted BEE), adjusted expenditures begin near adult levels (~100%) but quickly climb to ~150% in the first year. Adjusted expenditures decline to adult levels at ~20 years of age then decline again in older adults. Basal expenditures for infants and children not in the DLW Database are shown in gray. (C) Pregnant mothers exhibit adjusted total and basal expenditures similar to those of nonreproducing adults (Pre, before pregnancy; Post, 27 weeks postpartum). (D) Segmented regression analysis of adjusted total (red) and adjusted basal expenditure (black) (calculated as a portion of total, Adj. BEETEE) indicates a peak at ~1 year of age, adult levels at ~20 years of age, and decline at ~60 years of age. (Pontzer et al., 2021)

 

Ab ca. 60 ändert sich der Stoffwechsel in unseren Zellen

Die Daten deuten darauf hin, dass unser Stoffwechsel vielmehr erst ab dem Alter von 60 Jahren wirklich abnimmt. Die Verlangsamung ist dabei überraschenderweise relativ gering, nur 0,7 % pro Jahr.

Laut dieser Daten braucht eine Person in ihren 90ern am Ende ca. 26 % weniger Kalorien pro Tag als jemand in seiner Lebensmitte. Der Verlust an Muskelmasse, der mit zunehmendem Alter erfolgt, könnte zum Teil dafür verantwortlich sein, sagen die Forscher, da Muskeln mehr Kalorien verbrennen als Fettgewebe. Aber das ist nicht das ganze Bild. Die Forscher haben für die Muskelmasse kontrolliert und es liegt scheinbar daran, dass ihre Zellen tatsächlich langsamer arbeiten und runterfahren. Diese Muster blieben sogar auch dann bestehen, wenn unterschiedliche körperliche Aktivitätsniveaus berücksichtigt wurden.

Lange Zeit war es schwierig, die Ursachen für den veränderten Energieverbrauch zu ermitteln, weil das Altern mit so vielen anderen Veränderungen einhergeht. Die Forschungsergebnisse unterstützen jedoch die Idee, dass es sich um mehr als altersbedingte Veränderungen des Lebensstils (weniger Bewegung, Veränderungen in der Lebensmittelwahl aufgrund von z.B. Zahn- und Kauproblemen, Geschmacksstörungen, Appetitveränderungen etc.) oder altersbedingter Veränderungen der  Körperzusammensetzung handelt.

Gewichtszunahme – im Regelfall keine Frage des Stoffwechselrückgangs

Alles deutet darauf hin, dass sich der Gewebestoffwechsel, also die Arbeit, die die Zellen verrichten, im Laufe des Lebens in einer Weise verändert, die wir bisher noch nicht richtig einschätzen konnten. Diese Ergebnisse lassen die Forscher annehmen, dass eine Gewichtszunahme im mittleren Alter sich nicht mehr auf einen verlangsamten Stoffwechsel schieben lässt. Demnach haben wir den größten Teil unserer Gewichtszunahme oder -abnahme im Alter selbst in der Hand.

Keiner sollte drum mehr das Handtuch werfen und seine Bemühungen abzunehmen einstellen, weil er glaubt, sein Stoffwechsel sei kaputt oder rückläufig. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten, wie wir in jedem Alter Gewicht verlieren und auch unseren Stoffwechsel sogar etwas erhöhen bzw. anregen können. Der Erhalt und Aufbau fettfreier Körpermasse (v.a. Muskelmasse) ist eine besonders vielversprechende Methode, um das Körpergewicht zu kontrollieren. Mehr dazu u.a. in meinem nächsten Newsletter-Beitrag: „Warum Eiweiß beim Abnehmen hilft!“.

 

Bedeutung der Forschungsergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, dass die Ernährung von Säuglingen den steigenden Energie- und damit verbundenen Mikronährstoffbedarf deckt. Zudem sollten die Studienergebnisse Auswirkungen darauf haben, wie wir mit Medikamenten im Alter umgehen. Durch den abnehmenden Gewebestoffwechsel werden auch diese jetzt unterschiedlich verstoffwechselt und ausgeschieden, weshalb Menschen im Alter evtl. weniger oder andere Medikamente nehmen sollten.

Möglicherweise werden die Ergebnisse aber auch Auswirkungen auf die Erforschung altersbedingter Krankheiten haben. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Zunahme der nicht übertragbaren Krankheiten und Störungen in genau dem Zeitraum beginnt, in denen der Stoffwechsel der Zellen runterfährt. Besonders markant ist die Zunahme an Entzündungen im Alter, die auch als „Inflamm-aging“ (entzündliches Altern) bezeichnet werden. Ganz offensichtlich kann der Körper im Alter nicht mehr so gut mit oxidativem Stress bzw. hoch reaktiven Sauerstoffverbindungen umgehen, was dann Entzündungen entstehen lässt.

Oxidativer Stress und Entzündungen sind dafür bekannt, dass sie eine Vielzahl unterschiedlichster Erkrankungen begünstigen oder mit ihnen einhergehen – angefangen von Diabetes, über Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zu Krebs. Übergewicht, insbesondere überschüssiges Bauchfett, spielt als Entstehungsort von Entzündungen dabei eine besonders große Rolle und eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheiten sind deshalb mit Übergewicht assoziiert.

 

Fazit:

Unser Stoffwechsel ist in der Jugend sehr hoch, aber pro Gramm Zellmasse betrachtet, im Säuglingsalter sogar noch höher bzw. am höchsten. Warum wir in unseren mittleren Lebensjahren oft an Gewicht zulegen, liegt in aller Regel nicht an einem Rückgang des Stoffwechsels, sondern an anderen Faktoren, die eine Gewichtszunahme begünstigen. Dazu gehören insbesondere Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten, die mit einer Abnahme an stoffwechselaktiver Muskelmasse und der Zunahme an Fettmasse einhergehen. Die Ursachen dafür sind oft Stress und Zeitmangel, die in unseren arbeitsreichen Jahren in der Lebensmitte typisch sind. Aber auch Schilddrüsenprobleme und Störungen im Hunger-Sättigungsempfinden, welches ebenfalls durch unsere Mahlzeitengestaltung und Lebensmittelauswahl beeinflusst wird, dürften eine Rolle spielen. Ab 60 wendet sich das Blatt und lässt sich tatsächlich ein stetiger Rückgang des Stoffwechsels beobachten. Dieser Rückgang soll eine Zunahme an Gewicht und Fettmasse begünstigen sowie viele im Alter auftretenden Krankheiten Vorschub leisten.

 

Quelle:

Daily Energy Expenditure Through the Human Life Course,” Herman Pontzer, Yosuke Yamada, Hiroyuki Sagayama, et al. Science, Aug. 12, 2021. DOI:  10.1126/science.abe5017

 

 

 

Nadia Beyer

Nadia Beyer

Nadia Beyer ist Ernährungswissenschaftlerin (Dipl. Oecotrophologin) und Leiterin der Fachakademie für angewandtes Ernährungswissen (Carrots & Coffee College, Hannover). Als Dozentin und Autorin ist ihr die Vermittlung ganzheitlichen Ernährungswissens und damit die Fusion der neuesten Erkenntnisse der modernen Ernährungswissenschaften mit denen der traditionellen Ernährungslehren ein großes Anliegen. Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem Gebiet der Magen-Darm-Gesundheit und Entgiftung (Buch „Toxfrei“; www.toxfrei.de).

1Comments
  1. Margarete Pöffel

    Man darf auch die Belastung durch unsere Umwelt nicht vergessen! Außerdem macht die heutige Nahrung nicht mehr satt! Dazu kommen noch gewisse Gifte und Strahlungen, denen wir permanent ausgesetzt sind, die unseren gesamten Organismus enorm belasten! Das gehört auch noch gesagt! Sogen.vegetativer Streß und Streß generell.

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